Donna Leon: „By Its Cover“ –  Guido Brunetti  ermittelt „zwischen den Zeilen“

Im schönen Venedig  ereignen sich mysteriöse  Vorfälle. In einer renommierten Bibliothek sind Seiten aus seltenen Büchern herausgetrennt, wertvolle Werke wurden  gestohlen. Commissario Brunetti übernimmt den Fall, verdächtigt wird ein amerikanischer Professor, der spurlos verschwunden ist.  Und plötzlich wird ein Theologe und  langjähriger Leser der Bibliothek  umgebracht …

Die reizvolle Szenerie des schönen Venedig mit ihren oppulenten Palästen, ihren von Gondeln und Vaporetti (Fahrgastschiffen) befahrenen Kanälen, ihren romantischen Kirchen bildet den Hintergrund der spannenden Kriminalromane der großen Schriftstellerin Donna Leon rund um den beliebten Commissario Brunetti. In der faszinierenden Lagunenstadt mit dem traditionsreichen, auf vielen, nah beieinander liegenden Inseln errichteten Centro Storico (historischen Zentrum), wo sich prächtige Renaissancebauten und byzantinische Stadthäuser erheben, gepflasterte Gassen und Calli (Straßen) auf pittoreske Plätze hinführen, die sich vor gotischen und barocken Sakralbauten erstrecken, ornamental verzierte Steinbrücken sich über schmalen Wasserstraßen wölben, schafft die Kulisse geschichtsträchtiger Gebäude eine verlockende Atmosphäre, die seit Jahrhunderten die Besucher und Einwohner in ihren Bann zieht.

Doch der eindrucksvolle Glanz der venetischen Kulturmetropole mit ihren stattlichen Palazzi und Theatern, Bibliotheken und Museen kennt in den Romanen der Autorin, die in New Jersey (USA) geboren wurde und seit über 30 Jahren in Venedig lebt, auch Schattenseiten. Das gesellschaftliche Leben der Regionalhauptstadt an der Adria ist in Leons Büchern geprägt von Korruption und erpresserischen Machenschaften, Umweltzerstörung und Überschwemmungen bedrohen die vom breiten Canal Grande als Hauptverkehrsader und der Via Garibaldi durchzogene  Wasserstadt. Hinter den prächtigen Fassaden der vielseitigen architektonischen Kunstwerke, die von ruhmreichen Epochen der einstigen bedeutenden Handelsmacht zeugen, brodeln verdeckte Intrigen und politische Machtkämpfe, herrschen Betrügereien und Rauschgifthandel, lauern Gewalt und Kriminalität.

Brunetti ermittelt im historischen Zentrum von Venedig

Der sympathische Commissario Brunetti, der in der Questura von Venedig angestellt ist und mit seiner Frau Paola, die aus einer renommierten Grafenfamilie stammt, und ihren Kindern Chiara und Raffaele  in der Innenstadt von Venedig wohnt, widmet sich leidenschaftlich dem Bekämpfen und Aufklären von Verbrechen. Meist befindet er sich dabei im Zwist mit seinem v.a. auf Prestige bedachten Vorgesetzten, dem Vice-Questore Patta, der immer wieder versucht, seine Ermittlungspläne zu durchkreuzen. Sein umsichtiger Kollege, der Ispettore Vianello, und Pattas im Recherchieren versierte Sekretärin, die hübsche Signorina Elettra, helfen ihm hingegen tatkräftig beim Erforschen der Kriminalfälle.

In Donna Leons Romanen erlebt man den Commissario Brunetti jedoch stets auch in privaten, besinnlichen Momenten mit seiner Ehefrau, in Konversationen und beschaulichen Betrachtungen mit Vianello, mit dem er z.T. auf Venezianisch kommuniziert. Auf Spaziergängen entlang der riva (Uferwege), über Plätze und Brücken, Fahrten mit Wassertaxis und Polizeibooten, auf denen der Leser den Kriminalkommissar bei seinen Ermittlungen begleitet, wird die verführerische Stadt erfahrbar gemacht. Prominente Gebäude und Kanäle, Straßen und Plätze aus dem Stadtbild von Venedig kehren in den Romanen wieder und werden zu wichtigen Orten der Handlung.

Raub von Büchern in einer Bibliothek

In dem neuen, im Original „By Its Cover“ (deutsch: „Tod zwischen den Zeilen“) benannten Roman der Schriftstellerin, der dreiundzwanzigsten Folge der fesselnden Kriminalserie, ereignen sich mysteriöse Vorfälle. In der Biblioteca Merula, einer renommierten Bibliothek mitten im historischen Zentrum von Venedig, sind heimlich einige  kunstvoll bebilderte Seiten aus seltenen Büchern entwendet worden, mehrere wertvolle Werke wurden gestohlen. An einem vom Duft der sprießenden Pflanzen erfüllten Tag des beginnenden Frühlings, an dem der Commissario Brunetti sich erst mit einer Reihe von alltäglichen Problemen und Ärgernissen – eine Schlägerei von Wassertaxifahrern um einen Auftrag, eine fehlgeleitete Bestellung von Navigationsgeräten – befassen muss und er beobachtet, wie die riesigen Kreuzfahrtschiffe mit ihrem hohen Wellenschlag die Substanz der auf Holzpfählen erbauten Häuser in Gefahr bringen, erhält er einen aufgeregten Anruf von Dottoressa Fabbiani, der empörten Leiterin der Bibliothek, die ihn über das Geschehen informiert.

Ein Verdächtiger verschwindet, seine Identität ist gefälscht

Brunetti, der die in einem Renaissance-Palast eingerichtete Bücherei in seiner Studienzeit des Öfteren aufgesucht hat, übernimmt den Fall. Der Verdächtige ist Joseph Nickerson, ein Assistenzprofessor für Geschichte an einer amerikanischen Universität, der in den Sammlungen der Bibliothek, vorgeblich für Forschungszwecke, berühmte alte Reisebeschreibungen gelesen hat und jetzt spurlos verschwunden ist. Im Laufe von Brunettis Erkundigungen stellt sich jedoch heraus, dass der amerikanische Pass und das Referenzschreiben, mit dem sich der Professor bei der Bücherei ausgewiesen hat, gefälscht sind.

Seine fast akzentfreie Aussprache und sein äußeres Erscheinungsbild legen nahe, dass es sich bei Nickerson sogar um einen Italiener handeln könnte. Paola, Brunettis gebildete Gattin, die den Commissario immer wieder mit ihren kulinarischen Gourmandisen überrascht, und die Kinder rätseln mit an dem schwer durchschaubaren Fall. Piero Sartor, der diensteifrige Wachtmann, der Einblick in die Lesegewohnheiten der wenigen Besucher der Bibliothek hat und sich für die Lektüre der Nutzer interessiert, hat als Erster ein Buch mit herausgetrennten Kunstdrucken entdeckt.

Diebstahl von Kunstdrucken bedroht Ansehen der Stadt 

Inzwischen haben die Mitarbeiter der Bibliothek beim gewissenhaften Durchsuchen der Bücherbestände eine erhebliche Menge an beschädigten oder geraubten Büchern, kostbar gebundenen, uralten Bänden mit Landkarten, naturkundlichen und künstlerischen Illustrationen festgestellt. Guido Brunetti vermutet daher, dass der Täter bei dem raffiniert geplanten, unauffällig durchgeführten und lange unbemerkt gebliebenen Diebstahl in der sorgfältig überwachten Bibliothek Komplizen gehabt haben muss. Auch gespendete Werke einer großzügigen Mäzenin einer angesehenen Familie sind von dem Raub betroffen. Ein Skandal droht, man befürchtet, die Presse könnte das peinliche Vorkommnis publik machen.

Die Bibliothek ist auf die Gunst der Spender angewiesen, der Schaden beläuft sich auf etliche hunderttausend Euro. Der Vice-Questore Patta ist um das Ansehen der Stadt besorgt, Brunettis Schwiegereltern sollen im sich anbahnenden Konflikt mit der Spenderin, die zur Adelsschicht der Stadt gehört, den Kontakt vermitteln. Der Bücherraub reiht sich offenbar ein in die umfangreiche Liste der europaweiten Diebstähle eines Netzwerkes berufsmäßiger Kunsträuber, die im illegalen Handel bei Sammlern, Liebhabern und auf Auktionen mit der gestohlenen Ware enorme Summen erzielen.

Ein Theologe  wird  umgebracht, die Motive sind unklar

Und plötzlich wird Aldo Franchini, ein Theologe und langjähriger Leser der Bibliothek, von den Mitarbeitern wegen der von ihm studierten Schriften Tertullian genannt, nach dem bekannten römischen Religionsphilosophen, in seiner Wohnung umgebracht. Brunetti untersucht, unterstützt von dem aufmerksamen Ispettore Vianello und der erfrischenden, scharfsinnigen Signorina Elettra, das rätselhafte, immer verwickelter werdende Verbrechen in dem komplizierten Netz der Personen und ihrer Beziehungen.

Franchini, ein früherer Priester und pensionierter Religionslehrer in einer  Privatschule, scheint als höflicher, moralisch unangreifbarer Mensch mit einer Leidenschaft für die klassischen Sprachen und die Werke der alten Kirchengelehrten unauffällig gelebt zu haben.  Der etwas linkisch wirkende Sartor erweist sich als eifriger Lotterie- und Wettspieler, eine ehemalige Geliebte des Ermordeten wird ausfindig gemacht, deren von ihr getrennter, straffälliger Freund in den Handel mit geraubten Sachen verwickelt war…